Die Lohnfrage: Zahlt der Staat zu viel oder die Betriebe zu wenig?
Verlässt uns eine Mitarbeiterin und nimmt eine neue Aufgabe bei der öffentlichen Hand war, ist mein erster Impuls oft: Wenigstens nicht zur Konkurrenz. Dabei ist dieser Gedanke objektiv ein Trugschluss.
Gemäss einem in der NZZ kürzlich erschienen Artikel [1] "liegt der mittlere Lohn beim Bund bei knapp CHF 10'000 pro Monat und ist damit mit der Bankenwelt vergleichbar. Bei der öffentlichen Hand werden alle MitarbeiterInnen in Kategorien eingeteilt und Lohnklassen zugeordnet. Die Ausbildung, die Erfahrungsjahre, die Verantwortlichkeiten sowie die Beurteilung der Vorgesetzten bilden die Grundlagen zur Einstufung. Welche Ausbildung die Mitarbeiterin genossen hat, ob Bauingenieurin oder Juristin, spielt dabei keine Rolle. Bei der öffentlichen Hand sind bezüglich Ausbildung und Berufsjahre alle gleich. Dies hat viele Vorteile und führt zur sinnvollen Gleichbeurteilung.
Einsatz und Know-how wird auch von den Staatsmitarbeitenden gefordert. Im Vergleich zur Privatwirtschaft fällt jedoch der finanzielle Druck für die Angestellten weg. Auch Existenzängste und Akquisitionsaufwand gibt es keine. Hinzu kommen für die Angestellten der Privatwirtschaft Frustrationen im Projektierungsalltag aufgrund Abhängigkeiten von IG-Partnern oder Entscheiden der Bauherrschaften. Als Bauherrin setzt man sich diesem Abhängigkeitsverhältnis nicht aus, ist selbst für das eigene Projekt verantwortlich und nur übergeordnete, politische Entscheide können das Projekt beeinflussen. Diese „softe Facts“ dürften zur Attraktivität einer Anstellung durch den Staat genauso beitragen wie der Lohn.
Es ist jedoch falsch, der öffentlichen Hand vorzuwerfen, sie bezahle überhöhte Löhne. Richtiger ist es, diese auch bei uns, den projektierenden Unternehmungen, umzusetzen. Gerade der Mangel an Fachkräften müsste ein wichtiger Impuls für die Entwicklung der Löhne und der gesamten Honorarpolitik sein.
Höhere Löhne können aber nur bezahlt werden, wenn die Aufträge zu besseren Ansätzen vergeben werden. Eine grosse Hoffnung liegt in der Umsetzung des überarbeiteten VöB/BöB. Hier sind die Bauherrinnen und Bauherren in der Pflicht, ihre Beschaffungsgrundsätze zu überdenken und neue Strukturen aufzusetzen. Lediglich die Aufnahme einiger weniger neuer Kriterien als Subkriterien (z.B. Nachhaltigkeit und Innovation beim ASTRA) wird wohl nicht genügen, um grundlegende Änderungen und Verbesserungen zu erzielen. Hier sind die Erwartungen der privaten Wirtschaft an die öffentliche Hand deutlich höher und weiter gefasst.
Zentral bei der Umsetzung BöB/VöB ist die Abkehr vom Grundgedanken „Preis als zentrales Zuschlagskriterium“ und zwar bei allen Beteiligten, staatlich wie privat. Die Bauherrinnen und Bauherren sollten sich im Klaren darüber sein, dass mit ihrem Preis nicht nur Projekte bezahlt werden, sondern auch der Nachwuchs im Markt ausgebildet wird. Und Unternehmen müssen sich bewusst werden, dass Nachwuchsförderung nicht nur, aber eben auch, über den Lohn angestossen wird.
«Big Government» verbreitet sich auch in der Schweiz", 4. August 2021