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Neue Vergabekultur: Das „Buebetrickli“ der Kantone hat seinen Preis

Beschaffungsrecht Politik Recht Unternehmen Wirtschaft Mittwoch, 7. Oktober 2020

Die Essenz des Kulturwandels im öffentlichen Beschaffungswesen liegt im revidierten Zweckartikel des Gesetzes. Neu steht nicht mehr die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund, sondern der „wirtschaftliche und der volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel“ (Art. 2 lit. a revBöB). Damit hat auch der Preis eine qualitative Dimension erhalten, welche eine Plausibilisierung erfordert. Die bisherige Auslegung des Zuschlagskriteriums „Preis“ muss deshalb neu beurteilt werden. Obwohl die Kantone über die notwendigen Instrumente verfügen, versuchen sie den Kulturwandel durch Rückgriff auf die bisherige Auslegung abzuschwächen.

Die Umsetzung des revidierten Beschaffungsrechts bei Bund und Kantonen schreitet voran. Derweil das Bundesgesetz (BöB) am 1. Januar 2021 in Kraft tritt, haben die drei Kantone Aargau, Bern und Schwyz das Beitrittsverfahren zur interkantonalen Vereinbarung (IVöB) eingeleitet (Stand Mitte September). Die Harmonisierung zwischen BöB und IVöB ist in weiten Teilen gelungen. Dennoch herrschen unterschiedliche Auffassungen darüber, wie weit der angestrebte Kulturwandel auch tatsächlich umgesetzt werden soll. Während beim Bund der Wille zur Änderung der Vergabekultur hin zu mehr Qualitätswettbewerb sehr deutlich zum Ausdruck gekommen ist, stehen gewisse Kantone diesem eher verhalten gegenüber.

Formale Abweichungen der Kantone gegenüber dem Bund

Zentrale Abweichungen zum Bundesgesetz finden sich bei den Zuschlagskriterien. Zwar sind Preis und Qualität weiterhin zwingend zu beurteilende Kriterien, jedoch wurde die darauf folgende, nicht abschliessende Aufzählung von Kriterien durch die Kantone mit einer unverbindlichen Kann-Formulierung ergänzt. Ferner wurden die beiden Zuschlagskriterien des unterschiedlichen Preisniveaus in den Herstellungsländern sowie die Verlässlichkeit des Preises nicht übernommen. Ebenfalls weggefallen ist bei der Ausnahme für standardisierte Leistungen, für die einzig der Preis massgebend sein kann, die zusätzliche Bedingung hoher Anforderungen an die soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit.

Summarische Interpretation neuer Elemente nach bisherigem Recht

Die Plausibilität des Angebotes wollen die Kantone gemäss Musterbotschaft zur IVöB nur im Rahmen der geltenden Bundesrechtsprechung übernehmen, die Verlässlichkeit des Preises wurde mit der zu Recht strittigen Preisniveau-Klausel im selben Atemzug summarisch als „kaum umsetzbar“ bezeichnet. Auch ein von den Kantonen in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten warf beide Kriterien in denselben Topf, indem es die Verlässlichkeit des Preises als Instrument zum Schutz einheimischer Märkte vor ausländischer Konkurrenz bezeichnete. Flankiert wird diese Haltung von Äusserungen gewisser Rechtsexperten, welche nicht müde werden zu betonen, das Gesetz beinhalte keinerlei Neuerungen im Hinblick auf einen Kulturwandel.

Der alte Zweckartikel – möglichst billig einkaufen

Nach bisheriger Rechtsprechung hat die Vergabestelle bei der Bewertung des Zuschlagskriteriums „Preis“ einen geringen Spielraum, da dieser die Gegenleistung der öffentlichen Hand für eine einzukaufende Leistung darstellt. So muss der günstigste Anbieter immer die beste Note erhalten und die Gewichtung sollte in der Regel zwischen 20 und 80 Prozent betragen. Dies erschloss sich aus dem bisherigen Zweckartikel des öffentlichen Beschaffungsrechts, wonach einzig der wirtschaftliche Einsatz der öffentlichen Mittel gefördert werden sollte. Mit anderen Worten, der Staat musste möglichst günstig einkaufen. In diesem Licht ist heute das breit diskutierte „Tessiner-Modell“, welches dem teuersten und dem günstigsten Anbieter Punkte abzieht, nicht zulässig.

Der revidierte Zweckartikel – Preis muss auf Nachhaltigkeit plausibilisiert werden

Mit der Totalrevision wurde jene Bestimmung im Zweckartikel erweitert, wonach öffentliche Mittel nicht nur wirtschaftlich, sondern auch nachhaltig eingesetzt werden sollen. Damit erhält der Preis neu eine qualitative Dimension. Die Erweiterung ist der eigentliche Kern des Kulturwandels und wurde auch von den Kantonen übernommen. Der Preis soll nicht nur darauf hin bewertet werden, ob er möglichst tief ist, sondern ob er die Triade der ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit erfüllt. Diese Prüfung ist einzig mittels einer Plausibilisierung des Preises über das – von den Kantonen ebenfalls übernommene – Zuschlagskriterium „Plausibilität des Angebots“ möglich. Folglich bedarf es einer neuen Beurteilung der bisherigen Rechtsauffassung des Kriteriums Preis.

Kantone trotz „Buebetrickli“ zum Kulturwandel verpflichtet

Dass die Kantone in ihrer Musterbotschaft auf die geltende Rechtsprechung nach altem Recht verweisen, ist ein klassisches „Buebetrickli“ mit durchschaubarer Absicht: Konservative Kräfte wollen eine Abkehr vom Status Quo möglichst verhindern und greifen dafür vorauseilend zum Mittel der Auslegung neuer Normen anhand alter Rechtsprechung. Aber in der Schweiz geht der Wille des Gesetzgebers den Urteilen der Gerichte und der Meinungen der Juristen vor. Mit der vollständigen Übernahme des Zweckartikels aus dem Bundesgesetz haben sich auch die Kantone zu diesem Kulturwandel verpflichtet.

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