Vertraulichkeits- und Geheimhaltungs- vereinbarungen: Neuer Wein in alten Schläuchen
Der Ingenieur behandelt Kenntnisse aus der Auftragsbearbeitung vertraulich. Das steht in der Leistungs- und Honorarordnung des SIA. Unterdessen verlangen aber einige Bauherren von allen Vertragspartnern die Unterzeichnung umfassender Vertraulichkeitsvereinbarungen, oft solche nach englischem bzw. amerikanischem Muster. Für die usic Büros stellt sich dabei die Frage, was noch akzeptiert werden kann und was zu weit geht.
I. Leistungs- und Honorarordnung SIA 103 und KBOB-Planervertrag
In der Ordnung SIA 103 (Art. 1.2.2) steht, dass der Beauftragte Kenntnisse aus der Auftragsbearbeitung vertraulich zu behandeln hat und solche Kenntnisse nicht zum Nachteil des Auftraggebers verwenden darf. Der KBOB-Planervertrag formuliert es in den Allgemeinen Vertragsbedingungen (2017) wie folgt: «Der Auftraggeber und der Beauftragte behandeln alle Tatsachen vertraulich, die weder offenkundig noch allgemein zugängig sind. Die Vertraulichkeitspflicht bleibt auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses bestehen. Vorbehalten bleiben gesetzliche Aufklärungspflichten.»
II. Vertraulichkeits- und Geheimhaltungsvereinbarungen
Für gewisse Daten gibt es gesetzliche Geheimhaltungspflichten, z.B. das Bankgeheimnis oder der Schutz von Personendaten und Persönlichkeitsprofilen gemäss Datenschutzgesetz. Unternehmungen, welche mit solchen Daten arbeiten, müssen natürlich dafür besorgt sein, dass auch ihre Vertragspartner die entsprechenden Pflichten einhalten. Ausserdem besteht in Unternehmungen generell ein starkes Interesse daran, erarbeitete Daten faktisch zu kontrollieren, denn ein Eigentumsrecht an Daten gibt es nicht – jedenfalls, wenn die Daten nicht unter den beschränkten Schutzbereich der Immaterialgüterrechte fallen (Urheberrecht, Patentschutz etc.). Somit ist es verständlich, dass manche Unternehmungen versuchen, mit Vertraulichkeitsvereinbarungen die Kontrolle über ihre Daten zu sichern: Weil kein Eigentum an Daten besteht, kann man sie auch nicht wie verlorenes Eigentum zurückfordern, wenn man die faktische Kontrolle über die Daten verliert.
III. Problematik
Wer z.B. als Planer beim Umbau einer Bankfiliale mitarbeitet, wird verstehen, dass er jene Daten geheim halten muss, die unter das Bankgeheimnis oder das Datenschutzgesetz fallen – sofern er im Rahmen seiner Tätigkeit überhaupt je in Kontakt mit solchen Daten kommt. Verständlich ist z.B. auch, wenn ein Industrieunternehmen Informationen über seine Produktionsprozesse schützen will.
Die Texte mancher Vertraulichkeits- und Geheimhaltungsvereinbarungen gehen aber wesentlich weiter: Manchmal werden sämtliche Informationen, welche der Beauftragte vom Bauherrn oder dessen Beauftragten erhält, der Vertraulichkeitsvereinbarung unterstellt – teilweise in Kombination mit drakonischen Konventionalstrafen. Wenn man solche Vereinbarungen ernst nimmt – und das muss man wohl –, so ist sogar ein Austausch unter den verschiedenen Beteiligten eines Bauprojekts unzulässig und erst recht darf nicht mit Baubehörden kommuniziert werden. So wäre z.B. der Architektenplan, welcher dem Gebäudetechniker im Auftrag des Bauherrn vom Architekten übergeben wird, eine vertrauliche Information und müsste gegenüber sämtlichen Baubeteiligten geheim gehalten werden … Das führt ins Absurde. Korrekterweise müsste die Vertraulichkeitsvereinbarung entweder auf die besonders sensiblen Daten beschränkt werden oder dann braucht es einen Vorbehalt, wonach sich die Vertraulichkeitspflicht nicht auf den üblichen Austausch projektrelevanter Informationen unter Baubeteiligten bezieht.
IV. Konventionalstrafen
Wer einen Vertrag verletzt, muss dem Vertragspartner den daraus entstehenden Schaden ersetzen. Das gilt natürlich auch für die Verletzung von Vertraulichkeits- und Geheimhaltungsvereinbarungen. Ein Schaden aus der Verletzung einer Vertraulichkeitspflicht lässt sich aber oft nicht strikt nachweisen.
Um die Einhaltung von Vertraulichkeits- und Geheimhaltungspflichten dennoch vor Gericht durchsetzen zu können, bestehen einige Bauherren auf die Vereinbarung von Konventionalstrafen, welche bei einer Verletzung der Vertraulichkeitsvereinbarung zur Zahlung fällig werden. Zum Teil werden diese Konventionalstrafen sehr hoch angesetzt.
Ein Planerbüro muss daher gut abwägen, ob es im Einzelfall das Risiko eingehen kann, bei einer auch nur leicht fahrlässigen Verletzung von Vertraulichkeitspflichten eine solche Konventionalstrafe zahlen zu müssen. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch, wie die Konventionalstrafe definiert ist (z.B. pro Ereignis, aber mit einer Obergrenze) und wie spezifisch die Vertraulichkeits- und Geheimhaltungspflichten sind. Wenn sich die Vertraulichkeitspflichten auf sämtliche im Vertragsverhältnis ausgetauschten Informationen beziehen und unter strikter Einhaltung dieser Pflichten eine normale Zusammenarbeit mit anderen Baubeteiligten eigentlich gar nicht möglich ist, ist es kaum zu verantworten, für die Verletzung dieser faktisch gar nicht einhaltbaren Verpflichtung eine Konventionalstrafe zu akzeptieren.
V. Versicherung
Von den Berufshaftpflichtversicherungen nicht gedeckt sind vertragliche Verpflichtungen, welche über die gesetzlichen Regelungen und die Bestimmungen der üblichen Standardverträge (insb. SIA und KBOB) hinausgehen. Soweit Vertraulichkeits- und Geheimhaltungsvereinbarungen im Wesentlichen nur konkretisieren, was auch nach den SIA-Ordnungen bzw. dem KBOB-Planervertrag gelten würde, sind Schäden aus fahrlässigen Verletzungen von Vertraulichkeitspflichten in der Berufshaftpflichtversicherung grundsätzlich gedeckt. Keine Versicherungsdeckung gibt es dagegen für Konventionalstrafen.
VI. Fazit
Bauherren können ein legitimes Interesse daran haben, mit ihrem Beauftragten eine Vertraulichkeits- und Geheimhaltungsvereinbarung abzuschliessen. Vereinbarungstexte, welche die Vertraulichkeitspflichten derart ausdehnen, dass bei strikter Einhaltung der Vereinbarung eine normale Zusammenarbeit unter Baubeteiligten unmöglich wird, sollten vom Planer nicht akzeptiert werden. Soweit in der Vertraulichkeits- und Geheimhaltungsvereinbarung Konventionalstrafen vorgesehen sind, muss sich das Planerbüro gut überlegen, ob diese im «worst case» mit Eigenmitteln bezahlt werden könnten, denn eine Versicherungsdeckung gibt es dafür keine.