zurück zur Übersicht

BIM@SBB

Dienstag, 22. Juni 2021

Die SBB hat an mehreren Pilotprojekten mit Building Information Modeling (BIM) «getüftelt». Welche Erfahrungen wurden gemacht? Wie unterscheiden sich die Herausforderungen beim Hochbau und in der Infrastruktur?

David Fäh: Bei der SBB erproben wir aktuell drei Projekte im Hochbau und 25 im Infrastrukturbereich. Dabei sind uns die Phasen «Planen» und «Bauen» sowie möglichst verschiedene Anlagen wichtig. Daher sind die Projekte im Tunnel, Brücken-, Fahrbahn-, Bahnhof- und Kraftwerksbereich angesiedelt.

Im Hochbaubereich wird deutlich, dass sich die Branche schon länger mit den einzelnen Komponenten von BIM auseinandergesetzt hat. Im Infrastrukturbereich, vor allem bei der Bahn, ist das zum Teil noch Neuland. Die Standardobjekte bzw. Bauteilbibliotheken sind noch nicht vorhanden und der Umgang mit Linienführung zeigt schnell Grenzen auf.

Was bleibt, ist der Grundsatz von BIM: Sich zu Beginn des Projektes zu fragen, was genau wollen wir mit BIM erreichen, welche Daten bestellen wir und wie wollen wir diese im Lebenszyklus weiterverwenden. Für diese Fragen haben wir eine dreitägige Schulung aufgebaut, welche sich auf die Grundsätze, die im Projekt zu verfolgenden Anwendungsfälle/Use Cases und Daten konzentriert.

Welchen Einfluss hat BIM auf die Art und Weise, wie ausgeschrieben wird (Eignungs-, Zuschlagskriterien, Bewertung)?

David Fäh: Mit BIM schreiben wir vor allem Daten aus. Das heisst, wir wollen bestimmte Daten, in einem bestimmten Format und zu einer bestimmten Zeit geliefert haben. Dies passiert im Moment bei den «klassischen» Projekten auch schon, erfolgt aber nun in einer anderen digitalen Reife. Mit diesen nun vorhandenen Daten können Mengen, Materialien, Flächen, gesetzliche Einhaltung etc. einfacher überprüft und somit schlussendlich die Qualität der Planung und Realisierung erhöht werden.

Die SBB sagt aus, dass mit BIM ca. 750 Tonnen CO2 eingespart werden kann. Können Sie aufgrund der bisherigen Erfahrungen in einem Beispiel skizzieren, wie durch BIM der CO2-Verbrauch reduziert werden konnte?

David Fäh: Im Moment sind dies Hochrechnungen. Wir gehen jedoch davon aus, dass durch die genaue Planung beispielsweise die Baustellen effizienter organisiert, die eingesetzten Materialien in der benötigten Menge verbaut und zu guter Letzt im Betrieb die Wege verkürzt werden können. So werden keine überschüssigen oder unnötigen Materialien angeliefert oder produziert. Diese Einsparungen während der Bau und Betriebsphase erfolgen durch die Simulation in der Planung. Auch das Thema Kreislaufwirtschaft spielt hier eine wichtige Rolle. Wir können dank BIM nachvollziehen, welche Baustoffe verbaut wurden und diese später beim Rückbau rezyklieren und weiterverwenden.

Seit diesem Jahr arbeitet die SBB im Immobilienbereich ausschliesslich mit BIM. Wie hat die Branche diese Ankündigung damals aufgenommen? Was sind die Unterschiede zu den Pilotprojekten?

David Fäh: Die Branche war ja bereits vorher aktiv und hat viele wichtige Inputs gebracht und Initiativen gestartet. Als Bauherr wissen wir, welche Daten wir bestellen. In den Pilotprojekten war es ein gegenseitiges Lernen, nun gilt es diese gemeinsam gewonnenen Erkenntnisse konkret anzuwenden. Wir werden weiterhin lernen und dies in Dokumente, Prozesse und Rollen einfliessen lassen.

Ab 2025 soll BIM auch in der Infrastruktur durchgehend angewendet werden. Ist die Branche bereit? Sind konkrete Projekte mit BIM geplant?

Adrian Wildenauer: Zu diesem Zweck haben wir Ende 2020 eine Umfrage mit dem SIA und dem BSA durchgeführt, um ein Gespür dafür zu erhalten, wo die Branche steht, was notwendig ist und was es benötigt, damit wir das «Ziel 2025» der SBB erreichen. Eine grosse Mehrheit der befragten 785 Personen ist sich einig, dass die Mehrwerte von BIM und dem damit verbundenen Informationsmanagement bis 2025 umsetzbar sind. In diesem Jahr, also 2021, wird sich die SBB genauer Gedanken darüber machen, wie und was im Infrastrukturbereich ab 2025 mit BIM ausgeschrieben wird. Es wird sicherlich eine Grenze bei der Grösse der Projekte geben, welche den Aufwand zum Nutzen gerechtfertigt.

Mit einem «Sechs Punkte Plan» will die SBB BIM einen deutlichen Schub verleihen. Wie sieht dieser Plan aus?

Adrian Wildenauer: Der «Sechs Punkte Plan» kam durch viele Gespräche mit Verbänden und Vereinen zustande. Uns fielen in den wertvollen Diskussionen stets die gleichen sechs Themen auf, die angesprochen wurden. Was ist das gemeinsame Zielbild, das die Branche haben will, wie ist die Roadmap dazu? Was ist unsere Sprache in Zukunft, welche Begriffe wollen wir verwenden? Wie wollen wir in Zukunft datentechnisch Assets abbilden, wie modellieren? Wie bestellen wir dies, möglichst alle Bauherren einheitlich? Wir haben das zusammengefasst, gebündelt und fokussieren uns mit der Branche und den wichtigen Marktteilnehmern auf die Umsetzung dieser sechs Punkte. Dabei geht es nicht um Gleichmacherei, sondern um Vereinheitlichung von Grundlagen und daraus folgend die konsequente Umsetzung durch alle.

Produkte und Methoden-Neutralität: Wie geht die SBB mit unterschiedlichen Software-Lösungen um? Werden spezifische Produkte vorgeschrieben oder wird mehr Fokus auf Schnittstellen-Kompatibilität gelegt?

Adrian Wildenauer: Wir arbeiten seit Jahren auf internationaler Ebene stark bei der Erarbeitung von diskriminierungsfreien Standards mit, hier insbesondere IFC mit IFCRail und IFCTunnel. Dies aus mehreren Gründen: IFC ist eine internationale, auch in der Schweiz gültige Norm, die einen Dokumentationsstandard festlegt. Ende 2021 werden namhafte Softwareanbieter sich für den neuen IFC Standard zertifiziert haben. Damit wird es dauerhaft möglich sein, Modelle unter den verschiedenen Anbietern auszutauschen. Die SBB darf und wird keine Software vorschreiben, sondern nur das offene Schnittstellenformat und damit die Datenstruktur. Weiter sollten wir frühzeitig wissen, wenn sich Standards und normative Grundlagen ändern, so dass man agieren kann.

Wie kann dieser «Sechs Punkte Plan» tatsächlich zum Fliegen kommen?

Adrian Wildenauer: Ganz einfache Antwort, indem wir weg von der Lagerbildung kommen und uns gegenseitig unterstützen, uns mit Wissen, Taten und Erfahrungen helfen. Planer, Unternehmer, Hersteller, Bauherren, Lieferanten, Betreiber – einfach alle. Dies ist die Grundvoraussetzung für den «Sechs Punkte Plan». Es genügt nicht, wenn wir uns hier alle paar Monate treffen und dazwischen nichts tun und darauf warten, dass diese Digitalisierung wieder weg geht, auf einmal alles funktioniert oder es gar ein anderer macht. Nein, der «Sechs Punkte Plan» bedeutet Arbeit – für alle, die an der digitalen Transformation der Bauwirtschaft teilhaben wollen. Wir müssen umsetzen, kleine Schritte gehen, lernen, anwenden und so weiter. Nur so kann der Plan zum Fliegen kommen.

Die SBB verfolgt dabei einen partizipativen Ansatz. Können Sie den für unsere LeserInnen erläutern?

Adrian Wildenauer: An regelmässigen Industry Days wollen wir einen kontinuierlichen Austausch in Arbeitsgruppen etablieren und die Erarbeitung des «Sechs Punkte Planes» vorantreiben. Hierbei müssen wir das grosse Ganze sehen. Für uns stehen die Wörter «gemeinsam» und «erarbeiten» im Zentrum. In sechs Arbeitsgruppen werden gemeinsam unter anderem das Zielbild, die Roadmap, gemeinsame Datenkataloge und Bestellgrundlagen bis 2025 erarbeitet. Die Arbeitsgruppen sollen wenn möglich durch den Marktteilnehmer geführt werden, der das Thema für die Schweiz verantwortet. Die Fragen, die wir uns gestellt haben, waren vielfältig und genauso müssen die Antworten sein: Wo möchte die Industrie 2025 stehen? Was möchte sie bewirken? Wie möchte sie wahrgenommen werden, als Treiber, als Bremser, als Grundpfeiler der Wirtschaft? Digitale Transformation ist ein Marathon. Jemand mag vielleicht schon bei Kilometer 5 sein, der andere am Startblock, der andere überlegt sich, die Schuhe für den Lauf zu kaufen. Wichtiger als die Strecke ist, dass wir in die gleiche Richtung laufen und das gleiche Ziel vor Augen haben. Es genügt nicht, wenn alle unterwegs sind, aber nicht abgestimmt.

Alle drei Monate an einem Industry Day teilzunehmen, bringt auch Aufwand mit sich. Können die Teilnehmenden mehr als «Frontalunterricht» erwarten?

Adrian Wildenauer: Teilnehmen ist das falsche Wort in diesem Kontext. Die Umsetzung der Industry Days ist explizit auf Beteiligung und Mitarbeit ausgelegt. Es soll kein Frontalunterricht werden, sondern wir möchten hier eine Plattform bieten. An diesem Tag zeigen die Arbeitsgruppen die Resultate der letzten Wochen und machen eine Vorschau auf die nächsten Wochen. Es ist vielmehr ein klassisches agiles Vorgehen, bei dem die Arbeitsgruppen ihre Themen und Arbeiten selbst definieren. Dafür brauchen wir zuerst ein gemeinsames Zielbild mit entsprechender Roadmap. Jeder Industry Day hat aber auch einen Lernanteil. Dafür holen wir Referenten aus anderen Industrien und Ländern, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen oder bereits weiter sind. Am ersten Industry Day im Juni 2021 ist jemand aus Finnland dabei, einem Land, das in der digitalen Transformation regelmässig an der Spitze ist. Sie wird aus ihrem Wirkungsbereich berichten.

Welche Erwartungen hat die SBB an die Verbände?

Adrian Wildenauer: In der Baubranche sind wir gut in den Dingen, die wir tun. Wir sollten uns aber dabei stets die Frage stellen, ob es die richtigen und notwendigen Dinge sind, an denen wir arbeiten, und wie wir unsere Ressourcen noch besser und zielgerichteter einsetzen können. Die letzten Monate haben eindrücklich gezeigt, dass wir mit Ressourcen effizient und nachhaltig umgehen müssen. Es benötigt eine übergeordnete Initiative, die wir gerne etablieren möchten. Verbände sind hier ein wichtiger Pfeiler, es geht nicht ohne sie. Jeder muss seinen Teil in dieser gewaltigen digitalen Transformation aktiv beitragen. Wir sehen dies gut in Arbeitsgruppe 2 des «Sechs Punkte Plans», der gemeinsamen Sprache. In dieser Arbeitsgruppe sind die normierenden, standardisierenden Verbände vertreten, mit denen wir die Begriffe erarbeiten, abstimmen und von beteiligten Verbänden reviewen lassen. Sie sind am Puls des Geschehens, wir brauchen die Verbände, um hier abgestimmt zu sein. Man kann es auch als Trichter sehen, der Wissen kanalisiert und weitergibt – in beide Richtungen.

Und welche an die Unternehmen?

Adrian Wildenauer: Die Schweiz kann nur erfolgreich sein, wenn die Mitarbeitenden und Unternehmen erfolgreich sind. Sind wir ehrlich, aufgrund der Bodenschätze in der Schweiz können wir es nicht sein. Unser grösster Schatz ist das Wissen in den Köpfen der Mitarbeitenden, die in Unternehmen Grossartiges leisten. Dies kann dauerhaft nur mittels stetiger Weiterbildung und konsequenter Anwendung des erworbenen Wissens funktionieren. Eines meiner Lieblingszitate trifft es gut: «Aus Wissen muss Können werden.» Nur so können wir in der Branche auch in Zukunft bestehen. Wir sind keine Insel im internationalen Kontext. Hier hilft es auch nicht, wenn man ständig neue Begrifflichkeiten verwendet. Wir sollten die Chance nutzen, uns auf Informationsmanagement mittels Building Information Modeling konzentrieren und dieses sauber für alle Beteiligten erarbeiten. So kommen wir viel schneller voran, als wenn wir jedes halbe Jahr ein neues Modewort kultivieren und einen Hype darum züchten.

Sie verweisen auch auf die Schulung von Mitarbeitenden. Wie geschieht dies innerhalb der SBB?

David Fäh: Die Schulung der Mitarbeitenden basiert auf drei Pfeilern. Erstens ist dies die Grundlagenschulung, in welcher Grundlagen zu BIM vermittelt werden, zweitens sind es anlage und rollenspezifische Schulungen, in welchen die Mitarbeitenden entweder anlagebezogen (z.B. Hochbau) oder rollenspezifisch (z.B. Einkäufer) das Wichtigste zu BIM erfahren, und drittens ist es das Onboarding, bei welchen alle Projektbeteiligte in einem Projekt zu BIM, den Daten und den Use Cases geschult werden. Im Laufe der Zeit werden dann auch Prozess- und notwendige Toolschulungen dazu kommen.

Im Kontext des partizipativen Ansatzes der SBB: Gibt es im Schulungsbereich Überlegungen und/oder Bestrebungen, diese Schulungen in der gesamten Branche anzubieten und/oder diese gemeinsam zu erarbeiten?

David Fäh: Wir sind konkret daran, die Schulungen auch Externen anzubieten. Wir sehen uns aber nicht als Bildungsinstitut und werden das, mit dem jetzigen Kenntnisstand, auch nicht ausbauen.

Welche Erwartungen haben Sie grundsätzlich an den Bildungsbereich?

David Fäh: Wir müssen es schaffen, die Digitalisierung bereits in die Grundausbildungen zu bringen. Wenn wir es nur in Weiterbildungen anbieten, werden wir es nie schaffen, Standards entsprechend zu schulen und eine entsprechende Akzeptanz zu etablieren. Keine Hochschule bietet heute z.B. ein CAS in SIA 101 an.

Adrian Wildenauer: Wie in jedem Bereich, wenn es um digitale Themen geht, benötigt es ein gemeinsames Vorgehen und eine einheitliche Sprache. Bildung in digitalen Themen für digitales Planen, Bauen und Betreiben muss frühzeitig beginnen und darf nicht erst postgradual erworben werden. Ebenso muss es in der Grundbildung und der Lehre vertreten werden. Wir sehen aber hier schon sehr gute und vor allem übergreifende Ansätze.

Wie wollen die SBB die Bildungsinstitutionen konkret erreichen?

Adrian Wildenauer: Bei BIM@SBB haben wir eine Bildungsbeauftragte, die sich genau um diese Belange kümmert, von der Ausbildung bis hin zur postgradualen Bildungslandschaft. Auch hier gilt es, die Anforderungen gemeinsam zu formulieren, zu erarbeiten, um- und einzusetzen. Wir sehen die Bildungsinstitutionen als wichtiges Bindeglied zwischen Standardisierung und praktischer Anwendung.

David Fäh

ist Bauingenieur mit anschliessender Weiterbildung zum Informatiker und Wirtschafter. Geschäftsprozesse, Veränderung durch Automatisierung und die Digitalisierung haben ihn in den letzten 20 Jahren in verschiedenen Branchen und Ländern als Projekt- und Programmleiter begleitet. Mit der Weiterbildung in Veränderungsmanagement hat David Fäh den theoretischen Rucksack gut gefüllt, um das Programm BIM@SBB zu führen. Mit neun Jahren Erfahrung bei den SBB bringt er auch das nötige Wissen im Bahnumfeld mit.

Adrian Wildenauer

ist Bauingenieur (Deutschland, Finnland) und hat sich 2002 in England und Irland zum Construction Manager fortgebildet. Dort kam er auch das erste Mal mit BIM in Berührung, damals noch unter dem Namen «AVANTI», bei dem es um kollaboratives Arbeiten in Bauprojekten mit Hilfe von IT ging, bei dem auch der Vorgänger von buildingsmart International eingebunden war. Damals wie heute geht es Adrian Wildenauer um die Vermeidung von unvollständigen, ungenauen und mehrdeutigen Informationen. Er zeichnet sich im Programm BIM@SBB verantwortlich für Standardisierung und Branchenaktivitäten. Er schreibt nebenberuflich seinen PhD über die Nutzung von «smart applications» für das Facility Management.

Durch die Nutzung von www.suisse.ing akzeptieren Sie die Verwendung von Cookies. Datenschutz.