Stefan Schneider Instruktionen fuer Reko Helikopterflug k 1
zurück zur Übersicht

«Die Schicksale der Dorfbewohner sind für uns dauernd präsent»

Naturgefahren Dienstag, 19. September 2023

Der Felssturz in Brienz/Brinzauls GR hat im Frühsommer die gesamte Schweiz in Atem gehalten. Mensch und Vieh mussten evakuiert werden. Für Stefan Schneider von CSD INGENIEURE AG als Leiter des Frühwarndienstes eine sehr intensive Zeit. Unterwegs im Kampf gegen Naturgefahren und im Brennpunkt der Öffentlichkeit.

Rotorenlärm dröhnt über den Felsen ob Brienz/Brinzauls. Zwei Bergführer hängen in der steilen Gefahrenzone am langen Seil. Während der Helikopterpilot den Eurocopter über der Felswand stabil hält, montieren sie mit dem Bohrer dutzende Reflektoren in die Wand. Gespannt verfolgt Geologe Stefan Schneider die Operation vom Rande des Bündner Bergdorfes aus durch das Fernglas. Über das knackende Funkgerät gibt er Anweisungen. Die Reflektoren sollen genaustens jede Bewegung im Felsen messbar machen.

Im Brennpunkt der Öffentlichkeit

Seit Wochen schaut die ganze Schweiz auf den drohenden Bergsturz im Albulatal. Zwei Millionen Kubikmeter Fels drohen in die Tiefe zu rutschen und riesige Schäden von über 170 Millionen Franken zu verursachen: Immobilien, Energie- und Wasserleitungen, Strassen- und Bahninfrastruktur. Mit Auswirkungen auf den ganzen Kanton.

Tag für Tag sind die Bewegungen am Berg mitzuverfolgen. Blick TV hat gar einen Live-Kamerastream aufgestellt. Die Weltpresse ist versammelt, um das Spektakel zu dokumentieren. Gebannt verfolgt man die behördlichen Neubeurteilungen der Gefahrenlage. Anfang Mai werden dann Mensch und Tier evakuiert. Es ist Phase Rot: Hochrisiko. Dank der Pandemie ist man sich die Riten der Krisenkommunikation bereits gewöhnt. Nochmals hat sich der Berg bewegt. Die Insel rutscht. Aber heruntergekommen ist nur etwas Geröll.

Eine Gesamtansicht zeigt das Dorf Brienz-Brinzauls unterhalb des Felssturzes"Brienzer Rutsch" am Freitag, 16. Juni 2023, in Brienz-Brinzauls,Graubünden, Schweiz. In der Nacht stürzte ein grosser Teil der Felsmassen in Richtung des Dorfes. Die Gesteinsmassen verfehlten das Dorf knapp und hinterließen eine meterhohe Ablagerung auf derHauptstraße in der Nähe des Schulgebäudes. (KEYSTONE/Michael Buholzer)

Wenn Stefan Schneider heute zurückblickt, kann er ab dem Medienrummel lachen: «Ein so grosser Bergsturz liess natürlich alle auf spektakuläre Bilder hoffen - speziell in der heutigen Zeit, in der alles möglichst live und online ist. Der Berg hat dieses Spiel nicht mitgemacht und alle an der Nase herumgeführt: Er ist in der dunkelsten Leermondnacht gekommen». Spektakulär war das Ausmass des Schuttstroms am Morgen danach – es ist mittlerweile der 16. Juni 2023.

«Der Berg hat dieses Spiel nicht mitgemacht und alle an der Nase herumgeführt: Er ist in der dunkelsten Leermondnacht gekommen»

Nüchtern, neutral, aber nicht abgestumpft

Die Rolle des Geologen ist bei einem solchen Naturereignis zentral. Möglichst nüchtern und neutral sollen die Szenarien, Gefahreneinschätzungen und Prognosen sein, so Schneider. Wissenschaftlich gestützt und mit sicherheitstechnischen Empfehlungen. Damit erhielten die Behörden eine saubere Entscheidgrundlage. In diese spielten dann immer noch auch politische und finanzielle Belange rein.

Bei aller neutraler Beurteilung sind die Härten und Zukunftsängste der Brienzerinnen und Brienzer dieser Krise auch an Stefan Schneider nicht vorbeigegangen: «Die Schicksale waren uns sehr wohl bewusst und präsent. Die Betroffenen stehen immer im Zentrum. Aber unsere Sorgfaltspflicht und Verantwortung diktiert uns trotzdem, nüchtern zu analysieren».

Plötzlich Promi

Der Rummel ist gross. Schneider ist froh, wurde das Krisenteam von der Medienstelle gut abgeschirmt. «Von einem Tag auf den anderen war ich im nationalen Rampenlicht. Wildfremde Leute sprachen mich plötzlich auf der Strasse an. Ich erhielt wirklich sehr viele Rückmeldungen». Plötzlich ist er ein prägendes Gesicht dieser Krise. Und ist umso mehr dankbar für den Rückhalt und das Teamwork. Für wichtige Momente hat die Gemeinde konzentrierte ‘Points de Presse’ organisiert, die restlichen Medienanfragen sind täglich in 1-2 Stunden abgehakt. Für Naturgefahren-Spezialisten eigentlich nichts neues. Aber der mediale Druck aufgrund der Ereignisgrösse, der war spürbar. Es war aber auch eine positive Erfahrung, denn «offensichtlich haben wir es gut gemacht. Wir erhielten viel Lob und Zuspruch», erfreut sich Stefan Schneider.

Medienrummel Stefan Schneider Brienz  Brinzauls CSD INGENIEURE AG

Medienrummel gehört während der heissen Phase des Ereignisses in Brienz/Brinzauls zur täglichen Arbeit von Stefan Schneider (CSD INGENIEURE AG).


Aufklärung statt Alarmismus

Ereignisse und Katastrophen verheerenden Ausmasses sind in der Schweiz nicht neu. Viele Ingenieurinnen und Geologen arbeiten im Alpenland im Kampf gegen Naturgefahren. Was hat sich verändert? Da ist sicher unser Lebensstil. «Da wir immer mehr Gebiete dichter besiedeln, bebauen und mit Verkehrsinfrastruktur verbinden, hat das Schadenspotential in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen», erklärt Schneider.

Es gehört zum täglichen Brot von vielen Ingenieurunternehmungen, Gefahrenkarten für Naturgefahren zu erstellen und Schutzbauten zu planen. Mit modernster Technik und hochauflösenden Messinstrumente werden Trends in Gefahrengebieten bereits früh erkannt.

Und dennoch lässt die Aufklärung in der Bevölkerung noch zu wünschen übrig. Obwohl Naturgefahren alle Menschen betreffen. Mit Blick auf hochalpine Gefahrenherde meint Schneider «Ich bin mir nicht so sicher, ob alle wissen, was Permafrost ist, und was auftauender Permafrost für Konsequenzen nach sich ziehen kann. Eine Sensibilisierung wäre hier sicher gut». Mit dem Klimawandel müsse mit höherem Risikopotenzial gerechnet werden, da extreme Wettersituationen häufiger auftreten. «Man sollte schon nicht Alarmismus betreiben, sich aber des Problems bewusst sein und die nötigen Schritte und Massnahmen angehen. Alarm schlagen wir dann, wenn die Sicherheit der betroffenen Bevölkerung nicht mehr gewährleistet werden kann».

Involvierte suisse.ing-Unternehmen

Durch die Nutzung von www.suisse.ing akzeptieren Sie die Verwendung von Cookies. Datenschutz.