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Permafrost: Wenn die Berge bröckeln

Umwelt Naturgefahren Montag, 22. Mai 2023

Die Gletscher schmelzen weg, das weiss jeder. Aber auch der Permafrost taut infolge der Klimaerwärmung auf und wird zum Naturgefahren-Risiko. Alpendörfer wie Kandersteg, Zermatt und viele andere sind von solchen Risiken betroffen. Aber auch Tourismus-infrastrukturen, wie Seilbahnen oder SAC-Hütten. Geologe Hans-Heini Utelli vom Ingenieurbüro IMPULS in Thun hat die von Felsabbruch und -sturz bedrohte Mutthornhütte und ihre Umgebung analysiert.

Immalerischen Gasterntal, mit Panoramasicht auf den Kanderfirn und dieWalliser Alpen, trohnt die Mutthornhütte des Schweizer-Alpen-ClubsSAC.128 Jahre würde sie dieses Jahr feiern. Doch Festlaune gibt esaktuell keine. Oberhalb des Gebäudes sind 100'000 Kubikmeter Fels inBewegung und drohen abzustürzen. Der Gletscher hat sich zurückgezogenund der Permafrost taut auf. Das führt zur Destabilisierung der Felsen.Nun mussten Hütte und Aussichtsterrasse im Frühjahr 2022 aufgrund vonRissen im Mauerwerk und Felsstürzen in unmittelbarer Nähe gesperrtwerden.

Geologische Expertise aus dem Ingenieurbüro

Drohen Ereignisse wie Felsstürze, Murgänge oder Rutschungen erstellen Geologen und Ingenieure Abbruchszenarien. Diese zeigen auf, wo und in welcher Intensität beispielsweise ein Bergsturz erfolgen kann. Hier ist Expertise von Hans-Heini Utelli gefragt, Geologe mit ETH-Abschluss, Bergführer und Vorsitzender der Geschäftsleitung beim Ingenieurbüro IMPULS in Thun. Da der aktuelle Standort der Mutthornhütte hochgefährdet ist, suchte der SAC einen Ersatzstandort, der auch in Zukunft sicher und gut erreichbar bleibe. Keine einfache Sache, so Utelli: «Die grosse Herausforderung war, sich ein Bild von der Landschaft zu machen, wie diese in 50 Jahren ohne Gletscher aussehen würde und wie die Stabilität der Felsen am Ersatzstandort sich bei einem Gletscherrückzug entwickeln wird». Das Abschmelzen der Gletscher und auch das Auftauen von Permafrost passieren nicht spontan. Sie bilden ein komplexes Klimasignal, in welchem neben den Temperaturen auch die Niederschläge eine wichtige Rolle spielen.

«In auftauendem Permafrost werden Felswände instabil, die bisher wie durch Zement zusammengehalten wurde»
Die Mutthornhütte mit skizzierter geologischer Analyse der Fels-Absturzszenarien. zvg Impuls AG

Folgen der Klimaerwärmung in den Alpen

Als Experte für Naturgefahren ist Utelli in seinem Arbeitsalltag mit den Folgen der Klimaerwärmung konfrontiert: «In auftauendem Permafrost werden Felswände instabil, die bisher wie durch Zement zusammengehalten wurden. Zudem tauen grössere Schuttmassen auf, die mit viel Niederschlag als Murgänge ins Tal transportiert werden können». Permafrost ist komplex zu erforschen. Er umfasst Fels oder Lockergestein, der ab einer gewissen Tiefe das ganze Jahr über gefroren ist. Permafrost liegt unter einer bis zu mehreren Metern mächtigen Auftauschicht, die im Sommer auftaut und im Winter wieder gefriert. In der Schweiz umfasst er laut Bundesamt für Umwelt BAFU rund 5% der Landesfläche. Das Auftauen des Permafrosts betrifft vor allem Bergkantone. Betroffen sind laut Utelli in hohen Lagen touristische Infrastrukturen oder Berghütten sowie in tieferen Lagen die Täler durch Murgänge, Gletscherseeausbrüchen oder Eislawinen.


Rekordtemperaturen im Schweizer Permafrost

Im Gegensatz zu schmelzenden Gletschern oder Niederschlägen, die häufiger und intensiver werden, reagiert Permafrost verzögert auf die Klimaveränderung. Die Entwicklungen sind jedoch besorgniserregend. Der von der Problematik gesamtschweizerisch betroffene SAC hat nach dem Hitzesommer 2022 einen Bericht erstellt. Dieser hält eine Rekordschmelze der Gletscher und Maximaltemperaturen in den oberen Schichten des Permafrosts fest. So taute beispielsweise am Stockhorn (VS) der Untergrund bis in eine Tiefe von 5,2 m auf. Auf dem Schilthorn (BE) wurde eine neue absolute Rekordmarke der Auftauschicht von über 13 m erreicht und an Standorten mit einem hohen Eisgehalt im Untergrund (z.B. Flüelapass, GR) wurden in den obersten Metern aussergewöhnlich hohe Temperaturen gemessen. Dieser Trend ist offiziell. Das BAFU hält fest: «Als Folge des Klimawandels ist ein flächenhaftes, tiefgründiges Abschmelzen des Permafrosts zu erwarten». Keine gute Prognose für Bergkantone und den gesamten Alpenraum.


Schutzmassnahmen und Mehrkosten für Private und öffentliche Hand

Der Kanton Bern rechnet in seiner ‘Adaptationsstrategie Klimawandel’ mit der Zunahme von Investitionen besonders in Schutzinfrastruktur und Wiederinstandstellung. Das heisst, für die öffentliche Hand und für Private kommen durch die Klimaerwärmung substantielle Mehrkosten hinzu. Dazu gehören auch Schutzmassnahmen, die in Gefahrenzonen verbaut werden. Ein jüngeres Beispiel für den Bedarf an massiven Schutzbauten kennt man ebenfalls aus der Region um Kandersteg. Das Dorf Kandersteg rechnet aufgrund des auftauenden Permafrosts und instabiler Felsen seit mehreren Jahren mit einem Bergsturz beim ‘Spitze Stei’. Eine ständige Bedrohung für die Dorfbewohner, für den Tourismusort mit dem Öschinensee, für die wichtige Verkehrsachse mit dem BLS-Lötschbergtunnel.

Rinnsal Öschibach im Dorf Kandersteg im Berner Oberland. Das massive Bachbett und die hohen Dämme gehören zu den Notmassnahmen aufgrund der Gefährdung. zvg suisse.ing


Das Rezept: Expertise und Haltung

Experten wie Hans-Heini Utelli setzen in ihrem Beruf ihre Fähigkeiten täglich dazu ein, für risikoreiche und gefährliche Situationen Lösungen zu finden. In seinem Fall mit Permafrost-Messungen im Gelände und High-Tech: «Für eine erste Permafrost-Abschätzung verwenden wir Computer-Modellierungen und Messungen mit Basis-Temperatur-Sonden. Für mehr Details führen wir Bohrungen durch». Zur Gefahrenevaluation beobachtet er das Gelände und greift auf Simulations-Software zurück, um Lawinen, Murgänge, Steinschlag und Felsstürze zu berechnen. Mit seiner Berufseinstellung teilt er auch die Haltung seines Unternehmens: ‘Lösungen für Mensch und Natur’. Und wie gehen die Menschen mit den Gefahren um? Utelli glaubt, dass das Bewusstsein für Gefahrenpotenziale in der Bevölkerung in den letzten Jahren gestiegen sei. Vielleicht hat die Klimawandel-Problematik dazu beigetragen. Aber es verblüfft ihn dennoch, «dass viele Leute noch nicht begreifen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Lebensstil, dem Ressourcenverbrauch und dem gibt, was in unserer Umwelt passiert». Die Konsequenzen sind bereits heute im Alpenraum und anderswo spürbar.

«Die grosser Herausforderung war, sich ein Bild von der Landschaft zu machen, wie diese in 50 Jahren ohne Gletscher aussehen würde» Hans-Heini Utelli, dipl. Geologe ETH Zürich und Bergführer. zvg Impuls AG

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